Gemeinsame Empfehlung zu "Räume der Stille"
Gemeinsame Empfehlung zu Räume der Stille
Die von der Landeshochschulkonferenz und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur eingerichtete gemeinsame Arbeitsgruppe „Räume der Stille“ legt auf Grundlage eines Informationsaustausches über an niedersächsischen Hochschulen gewonnene Erfahrungen die nachfolgenden Empfehlungen vor, die zur Orientierung im Zusammenhang mit der Einrichtung und Nutzung von „Räumen der Stille“ dienen können.
Leitend sind das gemeinsame Zweckverständnis von „Räumen der Stille“ und das Selbstverständnis der niedersächsischen Hochschulen als weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichteter Orte wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Austausches.
„Räume der Stille“ sollen Gelegenheit zur Entschleunigung, zum „Abschalten“, zum Entspannen, Nachdenken, Meditieren und Beten bieten. Sie sind keine spezifisch religiösen Orte, stehen aber auch Angehörigen aller weltanschaulichen und religiösen Gemeinschaften offen.
Nach ständiger verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Rechtsprechung begründet das Grundgesetz für den Staat und damit auch für die in staatlicher Verantwortung stehenden Hochschulen die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verbietet, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren und Andersgläubige auszugrenzen. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist dabei nicht als eine distanzierende Haltung im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende Haltung, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördert. Die in Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz sowie Art. 3 Abs. 2 Niedersächsische Verfassung verbürgte Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, die auch die negative Glaubensfreiheit umfasst, also die Freiheit, keine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu haben oder eine solche abzulehnen, ist vorbehaltlos gewährleistet. Einschränkungen können sich aber aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang.
Die niedersächsischen Hochschulen sind weltoffen und haben ein weites Verständnis von Diversität, das die Anerkennung von Vielfalt und Inklusion umfasst. Sie leisten einen wichtigen Beitrag mit Blick auf den Dialog der Kulturen, Weltanschauungen und Religionen und sorgen zugleich dafür, dass Mitglieder, Angehörige und Gäste der Hochschule ihr Bedürfnis nach Ruhe, Einkehr, Besinnung und stillem Gebet im Rahmen der Möglichkeiten befriedigen können.
Dies vorweggeschickt, werden folgende Empfehlungen ausgesprochen:
1. Die Hochschulen entscheiden in eigener Zuständigkeit über die Einrichtung eines „Raumes der Stille“. Den unterschiedlichen Entstehungsgeschichten und Bedürfnissen an den Hochschulen soll dabei Rechnung getragen werden. Ein Anspruch auf Bereitstellung eines solchen Raumes besteht nicht.
2. Die Annahme von Spenden zur Einrichtung und Nutzung eines „Raumes der Stille“ ist statthaft, darf aber nicht mit der Zusage an die Spenderin/den Spender verbunden werden, den „Raum der Stille“ für bestimme Zwecke oder Zeiträume oder auf eine bestimmte Art exklusiv nutzen zu dürfen oder den Raum in einer das Neutralitätsgebot und die Zweckbestimmung verletzenden Weise zu gestalten.
3. Mit Blick auf das Neutralitätsgebot der Hochschule, den Diversitätsgedanken sowie das Zweckverständnis besitzt ein „Raum der Stille“ als eine für alle Ruhesuchenden sowie weltanschaulich-religiös geprägten Nutzerinnen und Nutzer offene Umgebung grundsätzlich eine andere Funktion als ein „Gebetsraum“, der als spezifisch religiöser Ort von bestimmten Nutzerinnen und Nutzern frequentiert wird.
4. Ein „Raum der Stille“ steht allen Mitgliedern, Angehörigen und Gästen der Hochschule zur stillen Nutzung im Rahmen der Möglichkeiten und ggf. nach Maßgabe einer Benutzungsordnung offen. Eine vorrangige, insbesondere regelmäßige Nutzung zu bestimmten Zeiten durch bestimmte Nutzerinnen und Nutzer oder Nutzergruppen sollte nur zugelassen werden, wenn die Zeiträume klar beschränkt sind und die Interessen anderer Nutzerinnen und Nutzer oder Nutzergruppen dadurch nicht maßgeblich beeinträchtigt werden. Eine vorrangige Nutzung durch bestimmte Nutzerinnen, Nutzer oder Nutzergruppen bedeutet keine ausschließliche Nutzung in dem Sinne, dass andere Nutzerinnen, Nutzer oder Nutzergruppen am Betreten des Raumes gehindert werden dürften. Ein Anspruch auf Nutzung des Raumes besteht nicht
5. Oberstes Gebot bei der Nutzung des „Raums der Stille“ ist die Einhaltung von Stille sowie Rücksichtnahme, Respekt und Toleranz gegenüber anderen Nutzerinnen und Nutzern und deren Anschauungen, Glauben und Gefühlen.
6. Nutzerinnen und Nutzer sowie Nutzergruppen haben ungeachtet ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung die Grundsätze der Gleichberechtigung der Geschlechter und der vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern sowie den Respekt gegenüber allen geschlechtlichen Identitäten zu achten. Jede Art von Diskriminierung verbietet sich.
7. Neben dem Recht der Hochschule, den „Raum der Stille“ auch wieder zu entwidmen, schließt das Hausrecht der Hochschule die Möglichkeit ein, den „Raum der Stille“ vorübergehend zu schließen sowie einzelne Nutzerinnen und Nutzer sowie Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern von der Nutzung des „Raumes der Stille“ auszuschließen, wenn diese einer ggf. vorhandenen Nutzungsordnung zuwider handeln, die Zweckbestimmung des „Raumes der Stille“ nicht beachten, insbesondere andere Nutzerinnen und Nutzer nicht respektieren, stören oder ausschließen oder den Frieden und das Miteinander an der Hochschule durch ihre Nutzung gefährden.
8. Die Hochschulen sollten für die Betreuung des Raumes eine feste Ansprechpartnerin/einen festen Ansprechpartner benennen.
9. Es kann sinnvoll sein, an der Hochschule einen Beirat einzurichten, der die verschiedenen Interessen der Nutzerinnen und Nutzer zum Ausgleich bringt; in ihm sollten auch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner der verschiedenen Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften sowie ggf. der oder die Beauftragte für Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen, die Gleichstellungsbeauftragte und eine Vertreterin oder ein Vertreter des jeweiligen Diversity-Managements vertreten sein.
10. Es erscheint sinnvoll, dass die Hochschule oder der Beirat eine Nutzungsordnung erlässt, in der u.a. folgende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden sollten:
- Barrierefreier Zugang
- Klare Regelungen zu den Nutzungsmöglichkeiten und –zeiten durch Einzelne und Gruppen
- Ausschluss der Nutzung für politisch motivierte oder andere zweckfremde Veranstaltungen
- Sicherstellung der kostenfreien Nutzung
- Sicherstellung der Gleichberechtigung der Geschlechter und der vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen
- Regelung der Öffnungs- und Funktionszeiten (z.B. vorrangig kurze Funktionszeiten)
- Verhaltensregelungen zur allgemeinen Raumnutzung (z.B. Einhaltung der Sauberkeit und Reizarmut: kein Verzehr, keine Getränke, kein Nikotinkonsum, kein offenes Feuer, Deaktivierung elektronischer Geräte, keine Duft- oder Geräuschbelästigung, schuhfreie Zone) und zur Nutzung von Materialien und religiösen Symbolen (Sicherstellung der Neutralität der Raumgestaltung)
- Organisation eines Belegplans (z. B. regelmäßige und freie Belegzeiten)
- Regelungen zum Umgang mit Beschwerden und Anregungen, insbesondere Benennung einer Ansprechperson
- Regelungen zum Umgang mit Schäden
- Regelungen zur Nutzungsbeschränkung bzw. Konfliktlösung (ggf. unter Inanspruchnahme des Hausrechts).
- Verabschiedet von der LHK in ihrer Plenarsitzung am 22.05.2017 -